Raketenpionier Helmut Hölzer

Helmut Hölzer (links) und Wernher von Braun (rechts) im Marshall Space Flight Center der NASA
Helmut Hölzer (links) und Wernher von Braun (rechts) im Marshall Space Flight Center der NASA

Konrad Zuse wurde für "80 Jahre Digitalrechner" in Hessen in den Medien "gefeiert" - eventuell könnte Helmut Hölzer mit "80 Jahre Analogrechner" auch ein klein wenig Beachtung finden
                                Artikel und Text von Wolfgang Malek im Mai 2021
Helmut Hölzer wurde 1912 in Bad Liebenstein geboren. Seine Eltern waren der Kaufmann Bernhard Alexander August Hölzer (* 1880) und Emmy Selma Frida, geb. Roth (* 1885). Die Ehe wurde geschieden. Seine Mutter leitete im Brunnenweg eine Pension, sein Vater besaß die Thüringer Steinwerke in unmittelbarer Nähe zur Gärtnerei seines Bruders Bernhard. Helmut Hölzer ging drei Jahre zur Grundschule und anschließend auf das Pädagogium seiner Heimatstadt. Die Oberrealschule in Bad Salzungen besuchte er bis Ostern 1931.  Die Diplomhauptprüfung für Elektrotechnik legte er im Mai 1939 an der TH in Darmstadt erfolgreich ab. Zusammen mit seinem Lehrer Alwin Walther entwickelte er einen Rechenschieber System Darmstadt mit einem Fehler von lediglich 0,16 %. Nach kurzem Praktikum bei der Firma Telefunken wurde er am Anfang des Zweiten Weltkrieges dienstverpflichtet und in der Heeresversuchsanstalt Peenemünde eingesetzt. Anfangs nahm niemand seine Forschung an einem Rechenapparat ernst. Später  konstruierte und baute er auf der Insel Usedom den ersten elektronischen Analogrechner der Welt. Anders als bei Zuse wurden in ihn aber keine binären Werte eingespeist, sondern echte physikalische Größen wie geometrische Längen oder Winkel. Ähnlich einem Rechenschieber konnte Hölzer damit Flugexperimente simulieren und gleichzeitig abbilden. Die Bombardierung Peenemündes hätte seine Erfindung fast zerstört. Ins Forsthaus von Neu Pudagla gerettet, konnte der 31-Jährige seinen Apparat dort weiterentwickeln und lernte ganz nebenbei die Tochter des Försters Muschwitz kennen. Die beiden heirateten nur ein Jahr später.
Folgendes sollte in diesem Zusammenhang aber nicht verschwiegen werden – das berichtet die Zeitzeugin Emmy Reum: Sie war am Ende des Zweiten Weltkrieges Kochlehrling in der Pension Helene im Liebensteiner Brunnenweg. Die „Helene“ wurde von Helmut Hölzers Mutter Frida geleitet.  "Mit der zunehmenden Bombardierung der Anlagen in  Peenemünde hatte Helmut Hölzer mit seiner Familie die Heeresversuchsanstalt verlassen müssen. Er traf eines Morgens um 10.00 Uhr  mit Frau Anni und Söhnchen Hartmut in der "Helene" ein. Die kleine Familie war schwer von der problematischen Reise von Usedom nach Liebenstein gezeichnet. Allerdings blieb Helmut Hölzer nur kurz zu Hause, er verließ den Ort bald wieder in Richtung Neu-Pudagla, Frau Anni und Sohn Hartmut blieben aber in Liebenstein".
In Neu-Pudagla findet man heute eine Gedenktafel für den Erfinder Hölzer. Der Forstdirektor Norbert Sündermann hatte den Wissenschaftler Hölzer 1992 persönlich kennengelernt und ihn 1994 in den USA besucht. Sein Fazit: Ohne Hölzers Erfindung wären die Amerikaner 1969 wohl nicht auf dem Mond gelandet. Helmut Hölzer gilt als einer der Computer- und Raketenpioniere. Der von ihm in Peenemünde und Neu Pudagla entwickelte Analog-Rechner wurde vom amerikanischen Marshall Space Flight Center in die Apollo-Mondraketen eingebaut. "Mit digitalen Rechnern wäre das unmöglich gewesen — zu langsam und zu riesig.“
Auf der Rückreise von Amerika sei ihm die Idee zu dem Gedenkstein gekommen. 1995 mit einer von Konrad Zuse geschriebenen Laudatio eingeweiht, hat Hölzer ihn jedoch nie zu Gesicht bekommen. Er konnte nicht mehr reisen und starb 1996.
Von vielen Anekdoten Hölzers sei diese genannt: Wernher von Braun fragte mich: ”Sie müssen doch ein ähnliches Problem in dem Fernsteuersystem haben; wie messen Sie denn die seitliche Geschwindigkeit?“  Ich sagte ihm, dass wir die seitliche Geschwindigkeit nicht messen, sondern automatisch ausrechnen. Er sagte ”Ausrechnen"?  Können Sie denn nicht dasselbe tun für die Winkelbeschleunigung?  Und wie lange würden Sie brauchen?“ Er dachte offensichtlich in Wochen oder Monaten. Meine Antwort war: ”Es ist jetzt 9 Uhr; wenn Sie mal um 6 Uhr heute Abend wieder reinschauen würden. . .“ Er fasste das als guten Witz auf und ging wieder weg.
In den 1990ern hatte der Direktor des Bad Salzunger Gymnasiums versucht, seiner Schule den Namen „Helmut-Hölzer-Gymnasium“ zu geben.  Die jüdische Gemeinde in Thüringen lehnte ab und verwies  auf die Bedingungen im Heeresversuchszentrum Peenemünde: Dort existierte von Juni bis Oktober 1943 ein Außenlager des KZ Ravensbrück. Die Montage der A4-Raketen sollte mit Unterstützung durch KZ-Zwangsarbeiter in der Fertigungshalle F1 des Peenemünder Versuchsserienwerks erfolgen, in deren Untergeschoss 600 Häftlinge untergebracht waren. Der Technische Direktor der Anstalt, Wernher von Braun, bezeichnete dieses Lager als Häftlingslager F1. Dafür wurden in den KZ Buchenwald und Sachsenhausen entsprechende Fachkräfte ausgewählt, die in der ab 1. Oktober 1943 in Peenemünde geplanten A4-Serienproduktion eingesetzt werden sollten. Da diese Arbeitskräfte als „qualifiziert“ galten, wurden sie hier wesentlich besser behandelt als ihre Leidensgenossen in anderen Lagern. Insgesamt waren dort etwa 1400 Zwangsarbeiter untergebracht, zeitweise noch mehr. Zu diesen kamen mehr als 3000 Ostarbeiter aus der Ukraine  und Zivilarbeiter aus Polen. Mindestens 171 Häftlinge aus Peenemünde, die zwischen November 1943 und September 1944 starben, wurden im Krematorium Greifswald verbrannt, andere Leichen wurden vor Ort verscharrt.

Zu Konrad Zuse lesen wir: Auch wenn er nie Mitglied der NSDAP wurde, hat er während des Kriegs keine erkennbaren Vorbehalte gegen die Arbeit in der Rüstungsindustrie gezeigt. Dokumente aus dem Nachlass Zuses belegen, wie „Rüstungsbetriebe und NS-Institutionen Zuses Computer mit über 250.000 Reichsmark“ finanzierten. Seine Erfahrungen mit dem Militär hat Zuse im Rückblick folgendermaßen resümiert: „Nur zu oft ist der Erfinder der faustische Idealist, der die Welt verbessern möchte, aber an den harten Realitäten scheitert. Will er seine Ideen durchsetzen, muss er sich mit Mächten ein lassen, deren Realitätssinn schärfer und ausgeprägter ist. In der heutigen Zeit sind solche Mächte, ohne dass ich damit ein Werturteil aussprechen möchte, vornehmlich Militärs und Manager. […] Nach meiner Erfahrung sind die Chancen des Einzelnen, sich gegen solches Paktieren zu wehren, gering.

PS:Der Zahnarzt Dr. Henning Frank war auf die Seite der Natur- und Heimatfreunde gestoßen. Er übergab viel Material zur Familiengeschichte der Perlets und überraschte mit einem Foto, das Hans Perlet links und Helmut Hölzer rechts vor Villa Helene um 1928 im Brunnenweg zeigt.

Helmut Hölzer hatte noch mehrmals Bad Liebenstein besucht und mit Schulfreunden gesprochen. Dazu gibt es leider nichts Konkretes.

Hans Perlet und sein Vetter Helmut Hölzer 1928 im Brunnenweg vor Villa Helene- Quelle Henning Frank
Hans Perlet und sein Vetter Helmut Hölzer 1928 im Brunnenweg vor Villa Helene- Quelle Henning Frank
Helmut Hölzer schaut über die linke Schulter des Uniformträgers General Medaris
Helmut Hölzer schaut über die linke Schulter des Uniformträgers General Medaris
Helmut Hölzer baut 1993-95 seinen Analogrechner nach
Helmut Hölzer baut 1993-95 seinen Analogrechner nach
Gedenktafel für Helmut Hölzer am Forsthaus in Neu-Pudagla auf Usedom
Gedenktafel für Helmut Hölzer am Forsthaus in Neu-Pudagla auf Usedom